BETRACHTUNGEN NACH DER ERUPTION DES NYIRAGONGO,
RUANDA, 2002
| Die
kürzliche vulkanisch-tektonische Krise des Nyiragongo-Vulkans, die im Januar
2002 Teile der Stadt Goma zerstörte, hat einen neuen Risikofaktor in den
Blickpunkt gerückt, hervorgerufen durch die in den Tiefen des Kivu-See
befindlichen
gelösten Gase (siehe Publikation im Anhang). Vor dem Desaster wurden
die Risiken von Gasaustritten und einer einhergehenden kataklystischen Explosion
durch eine nätürliche Destabilisierung des Sees als verschwindend klein
angesehen. Dieses ist nicht länger der Fall: Die Hypothese einer magmatischen
Einleitung, selbst einer vulkanischen Eruption in der Tiefe des Sees, können
nicht länger völlig ausgeschlossen werden. | Pigs
Island, ein alter Vulkan im nördlichen Teil des Kivu-See
(Foto: H. Tazieff). |
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Entlang einer tektonischen Bruchlinie fließt
die Lava des Nyiragongo aus eruptiven Spalten 15 km vom Kraterrand entfernt in
Richtung See (Entfernung zum Ufer 5 km). Wäre sie 6 oder 7 km weiter südlich
fortgeschritten, wären magmatische Einleitungen in den See bis in eine Tiefe
von 300 m vorgedrungen und hätten unvermeidlich das Hervorschießen
von gasbeladenem Wasser bewirkt. Eine Wolke aus Kohlendioxid und Methan, deren
Auswirkung schwer abzuschätzen ist, hätte sich gebildet und katastrophale
Folgen nach sich ziehen können: Die gesamte Einwohnerschaft von Goma (400.000
Einwohner) und Gisenyi wäre direkt betroffen gewesen. Das Szenario
einer begrenzten Gasemanation ist nur die "günstigste" Hypothese:
Ein großer Vulkanausbruch könnte sich eines Tages direkt auf dem Seegrund
ereignen. | Der Vulkanausbruch vom Januar 2002 ist einzigartig
in der Geschichte der Vulkanologie, weil er durch einen tektonischen Bruch zwischen
Erdplatten hervorgerufen wurde. Es ist gut möglich, dass die tektonische
Bruchlinie, die unter dem See verläuft, jetzt lebendig geworden ist. Auch
scheint es, dass sich die seismische Aktivität gegenwärtig im Raum südlich
von Goma, also direkt unterhalb des Sees, konzentriert. Ein vulkanischer Ausbruch
in der Tiefe, bei dem mechanische, aus dem Druck magmatischer Gase herrührende
Energie zur thermischen Energie der ausströmenden Lava hinzukommt, könnte
zu einem Kataklysmus führen, der die Tiefenwasser in einer Lawinenbewegung
an die Oberfläche reißt - wie im Nyos-See geschehen.
Man
beachte, daß die Menge gelösten Gases im Kivusee tausendmal größer
ist als im Nyos-See; hier waren 1986 1.800 Opfer in einer dünn besiedelten
Region in Kamerun zu beklagen. Wenn ein tatsächliches "Umkippen"
des Sees passieren würde, wäre hiervon die gesamte Region Kivu betroffen:
Goma, Gisenyi, Bukavu, Cyangugu und sogar Bujumbura. Die Gaswolke könnte
die Gebiete um den See bedecken und sogar bis zum Tanganjika-See, 700 m tiefer
als Bukavu gelegen, abfließen. Eine Bevölkerungsanzahl von etwa zwei
Millionen Menschen lebt unter dieser Bedrohung. | 
Wir
haben die Rohdaten einer bathymetrischen Felduntersuchung durch das OSEA-Institut
von 1998 ausgewertet. Diese Daten wurden derart erhoben, dass sich daraus 3D-Abbildungen
des Seebodens machen lassen. Die Bilder zeigen das Vorhandensein einer Reihe alter
Vulkankegel entlang der tektonischen Bruchlinie zwischen Nyiragongo und Nyamulagira.
Diese alten Vulkane befinden sich in einer Tiefe zwischen 300 und 400 m, also
gerade innerhalb der Seeschichten, die mit Gas gefüllt sind. Eine erneute
Eruption würde unausweichlich die Freisetzung enormer Mengen gelösten
Gases durch eine Kettenreaktion bedeuten, mit katastrophalen Folgen für die
gesamte Kivu-Region. Eine Bevölkerungsanzahl, die mehrere Millionen beträgt
(Goma, Bukavu, sogar Bujumbura) lebt mit dieser Bedrohung. |
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Das Ereignis, das eine genügend mächtige
Störung darstellen könnte, um im See einen lawinenartigen Gasausbruch
zu bewirken, muß eine beträchtliche Menge Energie aufbringen. Dieses
könnte für eine vulkanische Eruption in mittlerer Tiefe zutreffen. Es
ist nicht unsere Absicht Panik zu verbreiten, aber, um es zu wiederholen, die
Möglichkeit eines solchen Desasters ist kein imaginäres Szenario. Selbst
wenn das Risiko wahrscheinlich ziemlich gering ist, muß man die Konsequenzen
in Betracht ziehen, die bei einem Kataklysmus nicht vorübergehend sein werden. | Wir
meinen deshalb, daß es wichtig ist, dieses neue Risiko gewissenhaft zu untersuchen,
und daß es geraten erscheint, ein einfaches Alarmsystem in Seenähe
einzurichten, das jede Bewegung der liquiden Masse des Seewassers anzeigt. |
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